Der Dokumentarfilm handelt von der Problematik des schweizerischen Strafvollzuges. Er versucht anhand eines Einzelfalls, die Mechanismen aufzuzeigen, denen ein Gefangener in der Anstalt ausgesetzt ist.
Zudem zeigt der Film ausschnittartig das Vorleben des Betreffenden, seine früheren Straftaten und Rückfälle, sowie seine ständigen Konflikte mit der sozialen Umwelt. Der 40-minütige Film ist eine Collage aus Bildsequenzen, Fotos, Interviewaussagen, Zitaten und Klangelementen.
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Sprache: OV Schweizerdeutsch
Die Zürcher Justizdirektion hat den Film umgehend verboten, weil sie der Meinung war, er werfe ein negatives Licht auf den Strafvollzug. Das Verbot wurde erst 1975 aufgehoben, unter der Bedingung, dass dem Film ein Erklärung vorangestellt werde, in dem ein Beamter der Justizdirektion vor der (jetzt farbig gefilmten) Strafanstalt Regensdorf festhält: «Dieser Filme wurde 1968 gedreht. Er ist also kein aktuelles Bild des heutigen Strafvollzugs».
Trotz der Freigabe des Filmes blieb Markus Imhoof den Behörden suspekt. In seiner Bundesfiche notiert ein Beamter, Imhoof habe den Film «Rondo» gedreht, für den sich der verdächtige französische Staatsangehörige Sartre, Jean-Paul, interessiere.
Festivals & Auszeichnungen
– Verbot durch die Zürcher Justizdirektion, 1969
Team
Lucius Lehnherr, Kameramann
Stimmen
Vom Gefängnis des Gewissens von Martin Schaub
Markus Imhoof (29) hat sich mit Tonhand und Filmkamera in den Dschungel des Strafvollzugs gewagt; seinen Film können wir nicht sehen.
Was für ein heisses Thema der Strafvollzug noch immer ist, erfuhr ein junger Zürcher Filmschaffender, Markus Imhoof, vor zwei Jahren. Imhoof wurde 1941 geboren, absolvierte ein Studium der Germanistik bis zum Lizenziat, schrieb und besuchte dann die ersten beiden Filmkurse der Kunstgewerbeschule Zürich. Schon nach seinem ersten Schulfilm, «Happy Birthday», wurden einige auf ihn aufmerksam; sein zweiter Schulfilm bestätigte nicht nur seine formale Begabung, sondern auch einen aussergewöhnlichen Ernst, ein Engagement in unsrer Zeit, einen kritischen jungen Mensch. Dieser Film mit dem Titel «Rondo» ist allerdings nie öffentlich aufgeführt worden. Nicht etwa mangelhafte Qualität ist der Grund dafür, sondern ein persönlicher Einspruch des Direktors der Strafanstalt, wo der Film gedreht wurde. «Rondo» befasst sich mit der Geschichte eines rückfälligen Gefangenen und mit der Schicksalshaftigkeit solcher Rückfälle bei den gegenwärtigen Methoden des Strafvollzugs, «Rondo» ist ein didaktischer Film über Lebensgeschichten, die ringförmig verlaufen. Die Lötstelle dieser Ringe ist die Strafanstalt.
Nicht ganz alle Rechte hatte der junge Filmschaffende auf seiner Seite, als der Einspruch des Direktors kam. Zwar hatte er alles mit seinem Partner, dem Sträfling 323, rechtlich geregelt, doch mit der Strafanstalt und ihrem Direktor nicht. So liegt der 45-minütige Film heute in der Büchse und verdirbt langsam.
Der Direktor kam mit dem Argument der «Manipulation» durch. Wenn jeder Film wegen «Manipulation» verboten werden dürfte, dann gäbe es keine Filme mehr! Vielleicht bestünde unser erster Schritt in der «Bewältigung der Bilder» im Abbau unserer Eitelkeit. Auch dem Direktor der Strafanstalt müsste es klar sein, dass Imhoof oder irgendein anderer Filmer nicht aus der Perspektive eines Direktors arbeiten konnte, dass er Konfrontationen zwischen Realität, und grundsätzlichen Erklärungen, zwischen Wirklichkeit und Ideologie machen musste, um zu seiner Wahrheit zu kommen.
Eine von Imhoofs «Manipulationen» sei hier wiedergegeben. Zwar können wir das nicht so eindrücklich, wie es im Film geschieht, doch sieht man genau, dass Imhoof nach dem einfachen Muster der Konfrontation arbeitete. Ohne diese Manipulation der Konfrontation ist keine Wahrheitsfindung möglich. Das Prinzip der Konfrontation ist der einzige Garant des Fortschritts (zur Menschlichkeit hin, nicht von der Menschlichkeit weg, frei nach Brecht).
Lernen
Ein Interview mit dem Direktor wird mit der Stimme eines Häftlings unterbrochen.
Der Direktor: «Da ist einmal die Arbeit, dann haben wir eine Schule, eine Art Gewerbeschule (an diesen Schulkursen dürfen alle, die das interessiert, teilnehmen). Dann haben wir eine Bibliothek (sie ist vielsprachig und enthält viel Fachliteratur). Dann haben wir den psychiatrischen Dienst, der ist ausserordentlich wichtig. Einmal pro Woche kommt ein Oberarzt vom Burghölzli. Schliesslich wollen wir den Sport nicht vergessen, besonders für jüngere Leute, die jeden Tag turnen und spielen… Dann ist vor allem die Freizeitgestaltung zu erwähnen, die einen grossen Raum einnimmt… Viele Institute geben Fernunterrichtskurse heraus, und wir machen alle eigentlich zugänglich.
Stimme eines Häftlings: «Jetzt pass einmal auf: Nicht, die haben mir Kurse bewilligt und Freizeitarbeit, um diese Kurse zu verdienen. Ich habe den ganzen Monat gekrampft, ich habe «Neunuhrlicht», das heisst Licht bis 9 Uhr abends. Am Samstag und Sonntag arbeite ich wie ein Irrer, habe aber nicht einmal das Kursgeld verdient. Und wann soll ich denn für den Kurs etwas arbeiten, wann?»
Der Direktor: «Dann wird gebastelt, ein Männerchor kommt regelmässig zusammen, darin besteht die Möglichkeit, seine Freizeit in einem kleinen Garten zu verbringen. Es wird modelliert, gezeichnet, gemalt; dann gibt’s natürlich auch Veranstaltungen . . . Vorträge, Konzerte, Theater, Film. »
Der Häftling: «Es ist einfach schlimm. Ich will einfach nichts mit dieser Bande hier zu tun haben. Deswegen hin ich auch in Einzelhaft geblieben. Das ist einfach und besser, mit denen kannst dir sowieso nichts lernen.
Verschiedentlich kommt der Portier der Anstalt ins Bild. Auch er wurde über gewisse Dinge befragt. Sein Beruf allerdings verhinderte ein eingehendes Interview. Der Portier muss auf seinem Posten sein. Unter anderem gehen die Fragen von Imhoof auf Ausbildung und Fortbildung der Anstaltsbeamten. Zunächst wird ein Gesetzesartikel zitiert: «Der Bund fördert und unterstützt die Heranbildung und Fortbildung der Anstaltsbeamten.» Darauf folgt aus einem Interview mit dem Portier die Stelle: «Ja, ja Anfängerkurse von 6 Tagen Dauer, und dann gibt’s weitere Kurse, in der Regel von zwei Tagen, und dann gibt’s noch Kurse, die einen Monat lang dauern, für einzelne.»
Disziplinarstrafen
Eine Passage Voll «Rondo. spielt sich etwa so ab: Von links erscheint ein Aufseher mit einem Tonkrug und Brot, schliesst die Türe auf und öffnet sie einen Spalt breit, stellt alles hinter die Türe auf den Boden und geht rechts das dem Bild. Dazu kommen folgende akustische Informationen: «§ 48. Ist vereinfachte Kost für länger als 5 Tage angeordnet worden, so muss nach 5 Tagen der Gesundheitszustand des Gefangenen vom Arzt untersucht und begutachtet werden.» «Der Verbrecher hat ein Recht auf Strafe, darin wird er als Vernünftiger geehrt. Denn Strafe ist Wiedervergeltung, ist Verletzung der Verletzung, Negation der Negation. Zwang wird durch Zwang aufgehoben» (Ein Hegel-Zitat). «Ja, meinen Sie denn, mit Weichheit kämen wir weiter?“ (Stimme des Direktors)
«Zu behandeln waren vor allem depressive Störungen, Erregungszustände und reaktive Depressionen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Freiheitsentzug und der Einzelhaft standen.» (Aus dem Jahresbericht des Psychiaters)
Geld
Imhoof meint, viele «Rondos» gingen auf die unverminderte materielle Not zurück, die der Häftling nach seiner Entlassung zuhause antrifft. Im Film kommt das folgendermassen zur Sprache. Häftling 323 sitzt in seiner Zelle und falzt Couverts. Dazu verliest er (asynchron) sein Kontoblatt, das später im Bild erscheint. Häftling 323: «Jetzt habe ich, Hergottnochmal 15 Monate hinter mir und habe ganze 191.50 Franken verdient.» Jetzt ist ein Familienfoto (Frau und zwei Kinder) zu sehen. Dazu auf der Tonspur: «Sie müssen bedenken, dass die meisten Gefangenen aus schlechten, zerrüttet, Familienverhältnissen kommen» (Stimme des Lehrers). «In 93 Prozent der Fälle muss die Frau des Gefangenen arbeiten und die Kinder weggeben.» (Kommentator). «Sie müssen bedenken, dass die meisten Gefangenen aus schlechten, zerrütteten Familienverhältnissen kommen» (wieder Stimme des Lehrers). Bei den letzten zwei Sätzen ist Imhoofs Kamera langsam auf ein Kind auf der Familienfoto zugefahren. Ein Metronom macht sein monotones Geräusch. Das Bild einer geknackten Villa erscheint. Dazu die Stimme eines Gläubiger «Wenn der draussen ist, soll der dann nur blechen.» Dann eine nicht definierte Stimm: «Und dann sollen die noch verdienen im Kittchen?»
Sex
Ein Häftling: «Ja, Selbstbefriedigung ist natürlich da Trumpf. Praktisch jeder, praktisch jeder. Was willst du denn anderes machen, wenn du sitzt?
Der Lehrer: «Ich finde, allfällige sexuell Stauungen, die sich da bei uns bemerkbar machen, können wir wunderbar mit dem Sport sublimieren… abbauen… Wir haben einem einen Sandsack gegeben, ja eher ein Sandsäcklein, und wir haben ihm gesagt: Hören Sie, stellen Sie sich ein wenig Ihre Aggressionsgegner vor, und boxen Sie auf diesen Sandsack… Es war also sehr befriedigend für diesen Mann. Er sagte, es habe ihn am Anfang etwas weh getan, aber später sei es ihm zum Vergnügen geworden.»
Häftling 323: «Die Nächte sind natürlich das Schlimmste, gegen das Ende kannst du nicht mehr schlafen. Du stellst Dir vor, wie’s draussen ist, das macht dich fertig. Ja. ja du kannst auch Schlaftabletten bekommen. Es gibt einen hier im Bau, die nimmt jeden Tag eine, doch er nimmt sie nur unter die Zunge und am Samstag frisst er sie alle und schläft den ganzen Sonntag durch. Was willst dir sonst machen. Der Deubelbeiss glaubt an die Seelenwanderung.»
Der Strafvollzug in einer Gesellschaft, die Imhoofs «Manipulationen» kategorisch ablehnt, ist fragwürdig. Das heisst: Dieser Strafvollzug muss befragt werden. Verhindert diese Gesellschaft einem Frager das Fragen, entzieht ihm die Freiheit des Fragens, wird sie als Ganzes zum Gefängnis. Freiheitsentzug heisst nicht einfach Zelle, Wasser und Brot. Auch Imhoof sitzt in Einzelhaft: er kann seinen Film nicht zeigen.
– Martin Schaub (aus Tagesanzeiger Magazin, 1970)
Mattscheibe für «Rondo» von Frank A. Meyer
Collage über ein Zuchthaus» nennt Markus Imhoof (30) seinen 1968 gedrehten Film «Rondo». Seit drei Jahren versucht er nun diese «Collage» aus Interviews, Gesprächsfetzen, Berichten, Reglementen und Szenen aus dem Leben der Gefangenen einem schikanösen Gefängnis zu entreissen: Der Streifen darf nicht öffentlich über die Leinwand flimmern. Gezeigt wurde er bisher ausschliesslich in ganz wenigen, engen Kreisen, zum letzten Mal am 30. April an einer Veranstaltung von Zürcher Sozialdemokraten. (Für diese Vorführung interessierte sich Jean Paul Sartre, was zu Imhoofs erstem Ficheneintrag führte.)
Grund für dieses Verdikt: Der Direktor der Strafanstalt Regensdorf, wo der Film als Schulaufgabe des damaligen Kunstgewerbeschülers Imhoof entstand, mochte sich für die kritische Sicht des Strafvollzugs nicht erwärmen. Er erhob Einspruch bei der Kunstgewerbeschule: «Ich sehe mich daher genötigt, dringend und klar zu bitten, ja zu verlangen, dass dieser Film nicht veröffentlicht wird, wo immer es auch sein mag.»
Seither kann es sich der Autor und können es sich Veranstalter – wo immer auch – nicht leisten, die aufrüttelnde Darstellung der Geschichte eines rückfälligen Gefangenen vors Publikum zu bringen. Zwar bestreitet Imhoof keineswegs, dass man sich provoziert fühlen könne: «Es handelt sich um einen engagierten Film über den schweizerischen Strafvollzug». Doch auch Urteile wie das von Martin Schaub: «Sein zweiter Schulfilm bestätigte nicht nur seine formale Begabung, sondern auch einen aussergewöhnlichen Ernst, ein Engagement in unserer Zeit, einen kritischen jungen Menschen», nützen nichts. Die Filmrechte liegen bei der Kunstgewerbeschule, die sich als öffentliche Anstalt nicht mit der öffentlichen Anstalt Regensdorf anlegen will. Ausweichend wird behauptet, der Film sei ohnehin ausschliesslich für interne Schulungszwecke bestimmt gewesen, und man verstehe nicht, weshalb der Realisator ihn öffentlich vorführen wolle. Indessen wurden auch die «Schularbeiten» des ersten Lehrjahres öffentlich gezeigt – manche sogar über den helvetischen Bildschirm.
Die Hoffnungen konzentrieren sich nun auf den kantonalzürcherischen Justizdirektor, den Sozialdemokraten Arthur Bachmann: Er findet sich in der heiklen Lage zwischen der Regensdorfer Direktion, die es Imhoof nicht verzeiht, sein Werk nicht aus direktoraler Sicht abgefasst zu haben, und den Filminteressierten, die das Werk endlich loseisen möchten.
Arthur Bachmann argumentiert: «Der Film ist nicht mehr besonders aktuell, da seit den Dreharbeiten viele Neuerungen eingeführt wurden, die bei einer öffentlichen Vorführung nicht berücksichtigt werden könnten.» Deshalb ist er bislang nicht bereit, eine generelle Veröffentlichungserlaubnis zu erteilen: «Der Film kann nach Anfrage an mich bei halböffentlichen Veranstaltungen gezeigt werden. Eine solche Bewilligung wird von Anlass zu Anlass erteilt.»
Filmer Imhoof wird deshalb wohl den endgültigen Durchbruch von Rondo an die Öffentlichkeit nicht erleben. Obwohl der Strafvollzug zu den Themen gehört, die breitesten Öffentlichkeit nicht deutlich genug vor Augen geführt werden können. Meint Filmpublizist Martin Schaub: «Der Strafvollzug in einer Gesellschaft, die Imhoofs «Manipulationen» kategorisch ablehnt, ist fragwürdig. Das heisst: Dieser Strafvollzug muss befragt werden. Verhindert diese Gesellschaft einem Frager das Fragen, entzieht sie ihm die Freiheit des Fragens, wird sie als ganzes zum Gefängnis.»
Markus Imhoof ist Ärger mit seiner Filmkunst nachgerade gewohnt: Der Streifen «Ormenis» über die Schweizer Kavallerie, den die Kavallerieverbände mit 20 000 Franken subventionierten, führte zu einer gerichtlichen Klage und zur Verfügung: «(…) wird Ihnen im Sinne einer einstweiligen vorsorglichen Massnahme ( … ) verboten, den Film ‚Ormenis‘ oder Teile oder Ausschnitte davon in irgendeiner Form, insbesondere am Bildschirm und vor allem in der heutigen Sendung Kontakt um 21.20 Uhr vorzuführen.» Grund für den Konflikt mit den Kavalleristen: Der Film war anders herausgekommen, als sie erwartet hatten – statt für, gegen die Aufrechterhaltung von Kavallerie in der Schweizer Armee.
– Frank A. Meyer (aus Sonntags Journal 8./9.Mai 1971)
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Veröffentlichung der Fotos im Zusammenhang mit dem Film frei.