Anerkennungsgabe der Stadt Winterthur an Markus Imhoof Laudatio von Stadtpräsident Dr. Martin Haas

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Meine sehr verehrten Damen und Herren

Zu unserer Verleihung der Anerkennungsgabe der Stadt Winterthur an Markus Imhoof möchte ich Sie im Namen des Stadtrates herzlich begrüssen. Ihr grosses Interesse an der Preisübergabe freut uns. Es zeigt uns, dass wir für 1997 eine Persönlichkeit auszeichnen, welche durch ihr Schaffen Menschen anspricht und fasziniert. Und zwar sind sie überall zu finden, nicht nur in Winterthur. So unterscheidet sich denn die heutige Überreichung der Anerkennungsgabe ganz erheblich von anderen Anlässen dieser Art. Üblicherweise begehen wir die Feier, indem wir eine Persönlichkeit auszeichnen, welche sich um das kulturelle Leben speziell in unserer Stadt verdient gemacht hat. Diesmal dürfen wir jemanden ehren, dessen Energien sich nicht auf das Lokale konzentrieren. Sein Radius ist anders. Es ist allerdings nicht das erste Mal, dass der Stadtrat einen Kulturschaffenden dieser Art auszeichnet. Auch Max Bill hat die Anerkennungsgabe der Stadt Winterthur bekommen.

Als der Stadtrat über die Anerkennungsgabe 1997, wie immer ein erstes Mal informell, sich unterhielt und mich ermächtigte, mit Markus Imhoof Kontakt aufzunehmen, merkte ich sehr bald, dass der Entscheid im Sog einer politischen Modeströmung gesehen werden konnte. Mein Versuch, mit Herrn Imhoof telefonisch in Kontakt zu treten, scheiterte; denn ich wurde informiert, dass er soeben im Flugzeug Richtung USA sei, wo es darum gehe, während einiger Zeit den Start von «Flammen im Paradies» zu begleiten und Referate zu halten im Zusammenhang mit dem Film «Das Boot ist voll». Woran ich vorher nicht gedacht hatte: Da ist ein Künstler im Trend. Die politische Entwicklung hat seinem vor 17 Jahren erschienenen Werk Recht gegeben, Aber als bei uns der Entscheid zugunsten von Imhoof fiel, stand dieser Aspekt nicht im Vordergrund. Imhoof hatte den Film «Der Berg» in unserer Stadt in einer Vorpremiere gezeigt, und auch bei den «Flammen im Paradies» war Winterthur der Ort einer Uraufführung. Aus all dem dürfen wir schliessen, dass dem heute Gefeierten die Stadt, in der er geboren wurde, nicht gleichgültig ist. Das heisst noch nicht, dass sie seine Welt ist.

1941 in Winterthur geboren, durchlief Markus Imhoof hier die Schulen und erwarb die Maturität am Gymnasium im Schulhaus der heutigen Kantonsschule im Lee. Es folgte das Studium der Germanistik, Kunstgeschichte und Geschichte an der Universität Zürich. Scheinbar alles ein wohlgesetzter Rahmen. Imhoofs Beitrag zur Maturität war jedoch ein Film, «Wehe wenn wir losgelassen».
Offensichtlich kam Bewegung in den wohlgesteckten Rahmen, und es brach vieles durch, es brach vieles aus. Nun ist dies bei einem jungen Menschen kein Sonderereignis, wohl aber, dass er solches in filmische Bilder fasst. Er geht hinaus, bricht aus; es interessieren ihn die Grenzen, die Grenzbereiche, wie der kleine Junge, der das wohlabgesteckte Revier des elterlichen Wohnbezirks durchbricht, wie Imhoof selber sagt, und nachher feststellt, dass die Welt ausserhalb weitergeht. Der Ausbruch aus dem Festgefügten schafft neue Grenzsituationen, aber auch der Einbruch der bedrohenden Aussenwelt in eine abgesteckte Ordnung zeigt neue, engere Grenzen.

«Flammen im Paradies», der jüngste Film von Markus Imhoof, erzählt eine Geschichte, die ihren Ursprung im Privaten hat. Sie ist den Tagebüchern eines Ehepaares von Missionaren in Indien entnommen, den Tagebüchern von Markus Imhoofs Grosseltern. Zu Beginn der Entwicklung des Projektes war für die Geschichte eine dokumentarische, jedoch spielszenisch angelegte Rekonstruktion der Geschehnisse vorgesehen.

Der Stoff war, so handgreiflich er sich in seinem Anfang darbot, mit seinen Ansprüchen bald weit herausfordernder. Auch zeigte es sich, dass er aus schweizerischen Quellen alleine nicht zu finanzieren war. So gedieh aus dem Entwurf ein Spielfilm, dessen Handlung sich ausweitete, der dramatisch vielschichtiger, psychologisch komplexer wurde. Ein Spielfilm, der sich in seiner künstlerischen Machart mit Meisterschaft in die Tradition des emotional anrührenden, wenn auch nie sentimentalisierten Erzählkinos Europas einreiht.

Trotz internationaler Besetzung und ausländischer Produktionshilfe hat sich Markus Imhoof nie preisgegeben. Denn nach wie vor, welchen dramaturgischen Krümmungen die Erzählung auch immer folgt, ist «Flammen im Paradies» ein Film, der einen Weg geht, den Markus Imhoof mit seinen Arbeiten immer wieder gegangen ist, den verschlungenen Weg in die Freiheit, wie immer diese von Film zu Film im Laufe von nun dreissig Jahren definiert worden ist.

Das Feuer, welches das Missionshaus und die Kirche zerstört – gelegt wird der Brand von aufgebrachten Einheimischen –, brennt die Lügen, die Vorurteile, die Überheblichkeiten weg, deren sich der Missionar und seine Frau je für sich schuldig gemacht haben. Nun erst, abgesichert in ihrer gegenseitigen Bindung, wird für sie der Aufbruch in die Freiheit zum Ereignis. Endlich beginnt bei dem Paar die tatsächliche Wahrnehmung der Wirklichkeit. So wie die beiden einander entdecken, öffnen sich ihre Augen auch für das Andere, für die Anderen, für die andere Kultur. Beide verzichten darauf, zuvor vom Anderen, von den Anderen, den Missionierten, eine Gegenleistung, etwa das Bekenntnis zum Christentum, einzufordern.

In jedem seiner Filme ist der Weg in die Freiheit das Thema von Markus Imhoof. Freiheit, verstanden als der Ausbruch aus einer Welt der Regelungen und der Zwänge, wie immer diese gesellschaftlich oder ideologisch begründet sind. Natürlich war dieses Thema jeweils stofflich anders beschaffen, immer aber ist es mit Leidenschaft vorgetragen worden. Das geschah zunächst in Dokumentarfilmen wie «Ormenis», wo es nicht einfach um die Abschaffung der Kavallerie geht, wie das Thema vordergründig sich darstellt, sondern um eine vaterländische Ideologie auch, die sich in der Kavallerie das handliche Instrument gegen Unruhen im Land vorstellte.

«Fluchtgefahr» (1974), der erste lange Spielfilm, verdoppelt den Ausbruch aus dem Gefängnis mit dem Ausbruch aus der erzieherischen Enge des Elternhauses, der Familie, der Welt der normierenden bürgerlichen Gesellschaft. Den Ausbruch aus der Bindung der Ehe thematisiert sodann der zweite Spielfilm, «Tauwetter» (1977), ein, wie zur Zeit der Uraufführung von der Kritik angemerkt, stark in seiner Subjektivität verhafteter Film. Von ganz anderer Überzeugungskraft war dann, und ist bis heute geblieben, der dritte Spielfilm, «Das Boot ist voll» (1980)

Sein Stoff ist zu neuer Aktualität gelangt. Das Thema ist die Flucht vor der Lebensbedrohung durch ein tödliches Regime, durch die Schergen Hitlers, und ist konsequenterweise die Zerstörung der Hoffnung der Flüchtlinge, verweigert die Schweiz ihnen, den Juden, doch das Asyl. In Frage gestellt wird die Flüchtlingspolitik, die Selbstdarstellung sodann der Generation unserer Väter. Der Film nützt inhaltlich und gestalterisch eine Freiheit, welcher die Zensur früher entgegengestanden hatte, als Leopold Lindtberg am Ende des Krieges (1944) noch «Die letzte Chance» drehte. Zuerst als Polemik gegen diesen älteren Film aufgefasst, ist Markus Imhoofs «Das Boot ist voll» längst nun zum solidarischen Gegenstück zu Lindtbergs Klassiker geworden. Nicht nur thematisch mit ihm verbunden, sondern durch die Gemeinsamkeit der Ethik, der humanitären Kontinuität und der Kritik an der Verweigerung der Hilfe an Flüchtlingen.

War «Das Boot ist voll» eine Abrechnung mit dem idealisierten Vaterland und mit der Generation der Väter, die dieser Idealisierung anhängen, auch wenn sie sie nicht eigentlich geschaffen haben, so verdoppelt der nächste Film, «Die Reise» (1986), diese Abrechnung auf andere Art. Da hält Markus Imhoof, inspiriert von der Literatur, Gericht auch über einen Vater aus der eigenen Generation. In jeder Generation ist, in der Literatur und nicht anders im Film, der Gerichtstag über die Väter immer aufs Neue wieder fällig.

Aus dem Bann des eigenen Dämons heraus führt schliesslich die Geschichte des Films «Der Berg» (1990), den Markus Imhoof gemeinsam mit Thomas Hürlimann dem Thema des Wetterwarts (auf dem Säntis) gewidmet hat. Sieben Jahre später schliesst sich mit «Flammen im Paradies» der Film nun an, von dem man meinen darf, dass mit ihm, was das Persönliche betrifft, der Schritt in die Freiheit vollends gelungen ist. Die früheren Filme – selbst «Der Berg» zeigt sich am Schluss noch offen – schlossen mit der Bestätigung einer subjektiv ausgetragenen, immer aber auch kritisch auf Gesellschaft und Umfeld gerichteten Klaustrophobie. Nicht so ist es in «Flammen im Paradies». In der Freiheit, die in der Bindung des Ehepaares und in dessen Offensein für das Andere besteht, ist für solche Klaustrophobie kein Platz mehr. Wie immer ihre Stoffe beschaffen sind, ordnen sich die Filme von Markus Imhoof in eine sich entwickelnde, zur Reife führende Sehnsucht nach Freiheit. Sie nahm im Anarchistischen ihren Anfang, in der sozialen und ethischen Verantwortung hat sie sich zuletzt gefestigt.

Herr Imhoof, ich freue mich, dass ich Ihnen den Preis mit der herzlichen Gratulation des Stadtrates überreichen darf.

Dr. Martin Haas
Stadtpräsident

(leicht gekürzt)

 

– Laudatio, 6. Februar 1998