Der Schauspieler zeigt die Gefühle, welche die Figur versteckt von Markus Imhoof

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Jedermann schützt sich mit einer Maske oder kämpft mit einem behaupteten Gesicht. Beobachtungen an sich selbst und an anderen beweisen das. Auch kleinste Kleinigkeiten haben einen doppelten Boden. Man sagt: Guten Tag! aber denkt: Warum bist du schon da? Das ist der Untertext. Darin liegt das eigentliche Geheimnis verborgen. Nur durch dieses Nichtübereinstimmen von Innen und Außen wird eine Szene interessant, wird die Figur reich.

Meist ist der Untertext nahe an der Wahrheit. Oft so nah, daß der Mensch selber diese Wahrheit gar nicht kennt, nicht erkennen kann oder nicht erkennen will.

Der Regisseur aber muß sie kennen und der Schauspieler auch. Der Schauspieler muß auf der Bühne eine Figur spielen (oder sein), welche diese Wahrheit nicht kennt oder sie versteckt, andererseits muß der Zuschauer dieses Verstecken, diesen doppelten Boden erkennen können.

Es ist langweilig, einen Schauspieler auf der Bühne zu sehen, der Guten Tag! sagt. Wenn man aber spürt, daß er am liebsten Du Esel, mußt du schon kommen! sagen würde, dann weiß man, daß da eine Geschichte im Gange ist und wird gespannt zuschauen. (Diesen Text aber so auszusprechen, würde alles zunichte machen.)

Bereichernd oder erschwerend kommt dazu, daß der Schauspieler selber ein Mensch ist, der Charakterzüge versteckt oder andere lieber herausstreicht. Aus einem bestimmten, auch psychologischen Grund hat man ihm ja die Rolle anvertraut. Die doppelten Böden können sich so gefährlich oder wunderbar potenzieren. Das darf nicht immer alles offengelegt werden. Die Abgrenzung zwischen Bewußtheit und Traumwandelei ist oft nicht möglich.

 

– Markus Imhoof (aus dem Programmheft zu «Die Möwe»)