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Von William Shakespeare
Deutsche Fassung von Thomas Brasch

Premiere 16.11.2002, in der Alten Feuerwache,
Saarländisches Staatstheater
Aufführungsdauer ca. 2 1/2 Stunden

 

Schauspielerinnen & Schauspieler

Herzogin von Gloster  –  Brigitte Kahn
Herzog von Gaunt  –  Jürgen Kirchhoff
Heinrich, sein Sohn  –  Michael Wenninger
König Richard II.  –  Uwe Zerwer
Königin Isabel  –  Anna Windmüller
Thomas Mowbray  –  Thomas Hölzl
Herzog von York  –  Hans-Georg Körbel
Aumerle, sein Sohn  –  Max Landgrebe
Bushy  –  Christian Taubenheim
Greene  –  Andreas Furcht
Northumberland  –  Jörg-Heinrich Benthien
Bischof von Carlisle  –  Thomas Hölzl
Ein Lord  –  Christian Taubenheim
Ein zweiter Lord, Gefängniswärter  –  Jürgen Kirchhoff
Herzogin von York  –  Brigitte Kahn
Herzog von Gloster / Kämpfer  –  Hans-Georg Zeitz

 

Team

Inszenierung, Markus Imhoof
Bühne, Kaspar Glarner
Kostüme, Renate Schmitzer
Dramaturgie, Katharina Gerschler / Lars Vogel
Musikalische Leitung, Uli Schreiber
Kampfchoreografie, Corinne Laurent / Gilles de Chénerilles
Regieassistenz, Daniela Nitzschke

 

Presse

Imhoof, dessen Inszenierung das Premierenpublikum mit reichem Applaus bedachte, interessiert sich nicht nur für die Verführung der Macht. Er arbeitet als Spiegel das Thema Lieb heraus und inszeniert zwei recht heisse Liebesszenen.

Rheinpfalz, 18.11.02

 

Ist es Zufall, dass im Premierenpublikum in Saarbrücken soviel Politprominenz zu finden ist? Ein ehemaliger Ministerpräsident und Ex- Bundesfinanzminister zum Beispiel? Oder der amtierende Ministerpräsident, der das Theater liebt? Ist das Zufall? Wo es in Richard dem Zweiten um die Vergänglichkeit von Macht, den Sturz des einen und den Aufstieg des anderen Königs geht?! In der Imhoofs Inszenierung wird das Stück zu einem Sinnbild, wie Macht Menschen verändert.
«Alle Werte werden gestürzt», schrieb Ionesco über Shakespeares Richard den Zweiten. In Richard sehe er alle gestürzten Könige der Welt, alle zusammengebrochenen Ansichten, Werte und Wahrheiten. Vielleicht haben deswegen so viele Politiker Interesse an dem Stück?

– SR-3 Saarlandwelle, 18.11.2002

 

Stimmen

«Manchmal bin ich der König,
dann wünsch ich mir, ein Bettler nur zu sein.
Dann werd ich das. Gleich flüstret Not mir ein,
es ging mir besser, könnt ich wieder König sein.
So werd ich dann gekrönt, doch gleich darauf
werd ich von Heinrich neu entthront
und bin schon wieder nichts. Wer immer in mir wohnt
– ich mein nicht mich, ich mein den Menschen in mir drin –
wird nicht zufrieden sein, bevor
er alles los ist, auch sich selbst.»

– Richard II., V. Akt, 4. Szene

 

Im Hohlraum der Krone  von Cathrin Elss-Seringhaus

Eine packende Shakespeare Interpretation:

«Richard II» als zeitlose Untersuchung von Macht-Mechanismen.

 

Programmhefte sind nicht selten eine Verirrung. Das Heft zum Saarbrücker «Richard II» darf man jedoch als Beglaubigung eines selten konsequenten Regie-Weges nehmen. Im Programmheft ballt sich vom soziologischen Wörterbuch bis hin zu Nietzsche, Canetti und Foucault viel Analytisches zum Thema Macht und zeugt vom akribischen Umgang des Regisseurs Markus Imhoof mit Shakespeares selten gespieltem «Richard II». (1594/1598).

 

Imhoof hat das unübersichtliche Personal enorm verknappt, den Text (in der kernigen Übersetzung Thomas Braschs) sowohl heftig gekürzt als auch ergänzt und die Szenenfolge umgestellt. Ja, Imhoof hat sogar einen neuen Richard-Mörder eingeführt, den Herzog von York. In der radikalen Zeichnung dieser Figur kulminiert Imhoofs interpretatorische Zuspitzung des Stoffs. York, den ein vortrefflicher Hans-Georg Körbel als überforderten, nervösen Leisetreter gibt, ist der Einzige, der immer an der Macht bleibt: als dienstbarer Mann in der zweiten Reihe. Wo zwei sich um die Macht streiten, bleibt er «neutral», also unbehelligt: ein Staatsdiener, egal unter welcher Flagge, ein Profiteur des Unglücks, selbst des eigenen Sohnes (Max Landgrebe), den er denunziert. Imhoof zeigt: Die wahre Macht geht vom Mitläufer aus.

 

Zu erleben ist in Saarbrückens Alter Feuerwache nicht die Charakter-Tragödie eines im Fall zu wahrer Majestät wachsenden Königs und auch nicht die druckvolle Dynamik historisch verbürgter Ereignisse, der sogenannten Rosenkriege zwischen dem Hause Lancester und York (1398 ff). Imhoof geht es um zeitlose, ja abstrakte Konstellationen, um Mechanismen und Deformationen der Macht. Persönliche Schuld wirkt hier höchstens noch als Verstärker, nicht mehr als Auslöser verhängnisvoller Abläufe.

 

Dementsprechend symbolhaft das Bühnenbild Kaspar Glarners: Zwei verschieb- und drehbare Wände in Rot und Weiß, schroff und hoch aufragend. Verloren wie in den bedrohlichen Räumen des Surrealisten de Chirico wirken die Protagonisten, in Anzügen und Cargohosen unsrer Tage (Kostüme- Renate Schmitzer) in dieser Kunst-Welt geometrischer Scharfkantigkeit.

 

Es glückt ein bemerkenswert klarer Shakespeare-Abend, auch ein präzises Zusammenspiel unter den Mitgliedern der Königs-Gangs, einer Männer-Gesellschaft, bei der sich dienen auf betrügen reimt. Hervorzuheben wären hier vor allem Jörg-Heinrich Benthien (Northumberland) und Thomas Hölzl (Mowbray/Bischof).

 

Schön auch, dass Imhoof trotz seines klaren Stils den beiden Haupt-Figuren ihre Unergründlichkeit lässt. Da ist zum einen Uwe Zerwer, der für Richard alle Ausdrucks-Farben zur Verfügung hat, den gelangweilten Zungenschlag eines verwöhnten Kindes zu Beginn, auch die Kotzbrocken-Attitude, wenn Richard – schließlich braucht er Geld – die Leiche seines Onkels fleddert. Es ist eine Freude zuzusehen, wie scheinbar mühelos Zerwer, ein Gast, nun schon zum wiederholten Male eine Figur auffächert. Ein Schwächling? Richard besitzt bei Zerwer eine überraschend monumentale Struktur, die man gern seinem Gegenspieler zuschreibt. Doch Heinrich tritt hier als Hänfling auf, der sich an Wänden und in Ecken herumdrückt. Michael Wenninger pflegt einen nahezu ballettösen Umgang mit seiner Figur, hält sie kunstvoll in der Schwebe zwischen sympathischem Jungen und berechnender Natter. So einer reißt in der Abdankungsszene die Macht nicht einfach an sich, er zupft schüchtern daran und hantiert damit, als sei sie eine heiße Kartoffel. Oder ahnt er: Es ist ein dreckiges Ding? Wie zwei kleine Jungs im Sandkasten lässt Imhoof Zerwer und Wenninger um ein lächerliches Requisit rangeln: das Krönchen. Imhoofs Blick ist erbarmungslos, ja bösartig: «Im Hohlraum der Krone wohnt ein Clown», das erkennt Richard. Zu spät. Wie ein Arzt hat Imhoof das Krebsgeschwür freigelegt.

Cathrin Elss-Seringhaus, Saarbrücker Zeitung, 18.11.2002