Deutsches Singspiel in drei Aufzügen
Text von Christoph Friedrich Bretzner
Bearbeitet von Johann Gottlieb Stephanie d. J.
Musik von Wolfgang Amadé Mozart
Premiere 9. März 2001, in der Volksoper Wien
Die Aufführung folgt der «Neuen Mozart Ausgabe»
Sängerinnen & Sänger
Bassa Selim – Nicholas Monu
Konstanze – Edith Lienbacher
Blonde – Yoon-Jeong Shin
Belmonte – Steve Davislim
Pedrillo – Oliver Ringelhahn
Osmin – Bjarni Thor Kristinsson
Musikerinnen & Musiker
Orchester und Chor der Volksoper Wien
Komparserie der Volksoper Wien
Team
Musikalische Leitung, Mark Foster
Inszenierung, Markus Imhoof
Bühnenbild, Werner Hutterli
Kostüme, Ingrid Erb
Choreinstudierung, Thomas Böttcher
Dramaturgie, Birgit Meyer
Regieassistenz, Axel E. Schneider
Presse
Der vielleicht etwas konservative Betrachter muss sich bei Imhoofs Regiewerk gleich zweimal verwundert die Augen reiben – denn die gute Konstanze ist alles andere als lieb und nett – fast hemmungslos kokett verfällt sie dem exotischen Charme und der erotischen Aura des farbigen und kraftstrotzenden Palastherrschers Bassa Selim. Für den Zuseher wird schnell klar, dass Konstanze, einwandfrei und meisterlich von Edith Lienbacher interpretiert, nicht nur ihre Liebe an ihn verschenkt, sondern dass sie auch wohl «etwas» mit ihm in heimlicher Stunde gehabt hat!
Die Besetzung des Bassa Selim durch den nigerianischen Schauspieler Nicholas Monu (Mitglied der Royal Shakespeare Company) ist im positiven Sinne ohne Vergleich und ein absoluter Glücksgriff von Imhoof gewesen. Denn man erinnert sich, zu Mozarts Zeiten galt die Türkei als sehr weit, sehr fremd und sehr exotisch. Heute haben sich die Zeiten geändert und die Symbolik «Fremdsein» ist von Imhoof durch das Neuwort «Farbigsein» in Anbetracht der multikulturellen Gesellschaft hervorragend bei dieser Neuinszenierung gelöst worden.
– Südkurier, 2001
Imhoof ist mit der Besetzung des Bassa Selim ein echter Theatercoup gelungen. Er weiss seine Lesart der «Entführung» zu vermitteln: Die zeitlose Angst vor dem Fremden, vor der Berührung mit anderen Kulturen, den Schrecken vor der Terra incognita unserer Seele.
– AZ
Hat Selim Sex mit Konstanze?
– Kronenzeitung
Bassa Selim ist hier in gewaltiger Schwarzer – ist das die korrekte Bezeichnung dafür, was früher unschuldvoll Neger hiess?
– Frauenblatt
Imhoof ist ein feinfühliger Künstler, der sich bei seiner Inszenierung der Gefahr einer Reduktion auf einen aktuelles Politstück genauso bewusst war, wie jener einer zu naiven Sicht. Seine Personenführung ist – gerade in den Szene zwischen der wohlerzogenen Konstanze und dem fremdländischen Bassa – von bewegender Genauigkeit. Erst angesichts des leibenden Bassa bricht das Konventionelle in Konstanzes Liebe zu Belmonte auf. Und Imhoof weiss – wie Mozart – um die Gefahren, die in einem ungeliebten Mann, Osmin, stecken: sie können von der Gaudi in blutigen Ernst umschlagen.
– Falter
Diese Aufführung könnte das Repertoire des Hauses auf lange bereichern. Sie provoziert am ersten Abend hellen Jubel für alle Mitwirkenden.
– Kurier
Stimmen
Ein Ort der Befreiung von Birgit Meyer
Im Gespräch mit dem Regisseur Markus Imhoof
Birgit Meyer (Chefdramaturgin der Volksoper Wien):
Was bedeutet der Titel dieser Oper «Die Entführung aus dem Serail» für Sie?
Markus Imhoof: Normalerweise wird man ja entführt von einem Ort, an dem man gerne ist. Warum heißt das Stück nicht «Die Befreiung aus dem Serail»? Für mich ist Mozart zu raffiniert, als daß er nicht einen Hintergedanken dabei gehabt hätte. Sicher wollte er keine langweilige Frau darstellen, sondern eine lebendige, emotionale Frau. Daß sie Konstanze – die Beständige – heißt, kommt einerseits aus der Vorlage von Christoph Friedrich Bretzner, in der Konstanze als sprechender Name zu verstehen ist; zum anderen ist es die zufällige, charmante Begebenheit, daß Mozart zur Entstehungszeit der Oper in eine Frau eben dieses Namens verliebt war, die, wie man weiß, seine spätere Frau geworden ist. Wie ernst es Mozart mit der glaubwürdigen Darstellung einer liebenden Frau war, erzählt er in der Musik. Besonders in der «Martern-Arie» kommt ihre Liebe, ihr Hin- und Hergerissensein zwischen Belmonte und Bassa Selim, zwischen Beständigkeit und Ausbruch ganz deutlich zum Ausdruck. Hier offenbart sich auch, was Mozart dieser Frau alles zutraut.
BM: Ich denke, daß Mozart der Text damals sehr entgegenkommen ist, Denn er befand sich gerade in einer Situation des Umbruchs. Er löste sich aus der symbiotischen Beziehung mit dem Vater und begab sich auf neues, unbekanntes Terrain: die künstlerische und private Eigenständigkeit. Ich glaube, es hat ihm Freude gemacht, gerade in dem Moment, (da er innerlich bereit war, siech selber auf etwas Fremdes, Ungewohntes einzulassen, eine Geschichte an einem fremden, unbekannten Ort spielen zu lassen, eine Figur dorthin gehen zu lassen, dort etwas für sie ganz Neues erleben zu lassen…
MI: Das Serail ist ja nur scheinbar ein Gefängnis. Vielmehr ist es ein Ort der Befreiung, ein Garten der Lüste, wo plötzlich Dinge möglich werden, die eigentlich verboten sind. Plötzlich gelten die althergebrachten Gesetze nicht mehr, und ein Abenteuer beginnt, das zu Hause undenkbar gewesen wäre, – obwohl es heimlich natürlich auch zu Hause geschieht, heute wie damals. Fast wie in einer Verkleidung, einer Maskerade, genauso wie in «Così fan tutte», wo das Türkische auch als Maske für die Freiheit, das Verbotene benutzt wird.
Die Türkei, das Serail stellvertretend für die Faszination des Fremdartigen, des Exotischen, in dem die strengen christlichen, augustinischen, weltabwehrenden Gesetze nicht mehr gelten. Hier liegt für mich der eigentliche Reiz: Konstanze auf ihrer Reise zu folgen und Dinge erleben zu lassen, in die man vielleicht selber auch gerne verstrickt wäre.
BM: Warum geht Konstanze am Ende weg? Warum bleibt sie nicht im Serail?
MI: Die Liebe, die Konstanze mit Belmonte verbindet (die Vorgeschichte ist nur skizziert) ist wahrscheinlich eine sehr konventionelle, gesellschaftlich angesehene, vielleicht sogar eine gesellschaftlich «veranlaßte». Das bedeutet Sicherheit für das junge Paar. Belmontes Verlangen nach Konstanze ist wohl glaubwürdig, aber er ist eben so sehr in die Liebe an sich verliebt wie in diese Frau. Ich glaube, daß sie am Schluß einfach der Gewohnheit, der Sicherheit folgt. Immerhin hat sie die Furcht vor einer angedrohten Bestrafung erlebt, nachdem die Entführung gescheitert ist. Nun, da ihr die Möglichkeit gegeben ist, zu gehen, hat sie nicht den Mut, sich für ein Leben mit Bassa Selim zu entscheiden. Aber tief in ihrem Herzen würde sie lieber bei Bassa Selim bleiben. Sie tut es nicht, genauso wie Ingrid Bergman im Film «Casablanca» nicht bei Humphrey Bogart bleibt, obwohl wir alle wissen, daß er die ganz große Liebe ihres Lebens ist. Sie geht mit dem sogenannten «richtigen», anständigen Mann ins Exil und trägt ihr Leben lang die unerfüllte Sehnsucht im Herzen.
BM: Wie wäre es weitergegangen zwischen Konstanze und dem Bassa, hätte sie das Serail nicht, verlassen?
MI: Die Gewöhnlichkeit hätte auch dieses Paar eingeholt, das ist die Tragödie des Alltags im Widerspruch zu den Träumen und Sehnsüchten wie sie eben in Opern- und Filmgeschichten vorkommen.
BM: Was nimmt Konstanze mit, wenn sie wieder nach Europa zurückgeht?
MI: Die Begegnung mit dem Unbekannten und das Erlebnis der großen, wirklichen Liebe. (Vielleicht kriegt das Leben mit Belmonte ein bißchen was davon ab, wenn es gut geht.) Konstanze hat eine Reise in die eigene Fremdheit gewagt, in die eigene verborgene dunkle Welt, die in uns allen schlummert und nach der wir uns sehnen oder vor der wir uns fürchten, viele suchen sie heute vielleicht konkret, wenn sie nach Ball in die Ferien fahren. Aber eigentlich handelt es sich ja um eine Reise in die eigenen Träume. Darum haben wir auf der Bühne darauf verzichtet, die Geschichte in einer ethnografisch festgelegten Gegend stattfinden zu lassen und haben vielmehr nach Bildern gesucht, um diese Traumwelt, diese Gegenwelt zur eigenen normalen, moralischen, anständigen Alltagswelt darzustellen. Ins «Allerheiligste der Liebe» dürfen nur Konstanze und Bassa Selim.
BM: Was ist denn das Allerheiligste der Liebe – auf der Bühne?
MI: Ein Wunschort, ein Turmalin, der einzige Edelstein, der alle Farben des Farbenkreises annehmen kann. Es ist der Phantasie des Zuschauers überlassen, wie es darin aussieht und was sich darin ereignet. Nur die Musik verrät es…
– Birgit Meyer (Aus dem Programmheft der Volksoper Wien)