Der Missionar, der Handelsmann und ich, 1997

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In einem Überseekoffer auf dem Dachboden habe ich die «Colonial Diaries» meines Grossvaters gefunden, tägliche Eintragungen seiner Missionarsjahre in Südindien (von 1884 bis 1913), 29 Bände in wild wuchernder Sütterlinschrift, gemischt mit indischen Zeichen. Es scheint, als hätten die tropisch «heidnischen Dämpfe», von denen er schreibt, schon ihre Wirkung getan.
Als Kind bewunderte ich ihn vorbehaltlos. Die Grossmutter verglich seinen Einsatz auf dem «Missionsfeld» mit einem Arzt, der einen Impfstoff gegen Malaria gefunden hat und verzweifelt versucht, die Bevölkerung zu retten, bevor es zu spät ist. Nach dem Tropentod seiner ersten Frau reiste er mit seinem schwerkranken Kind nach Colombo, um es im Hafen wildfremden Leuten zur Fahrt nach Europa anzuvertrauen. Selber harrte er aus, um seinem gottgewollten Auftrag treu zu bleiben. Die folgenden Monate in Tagebuch sind leer.
Kann man den Hinduismus mit einer Tropenkrankheit vergleichen?

Als ich vor zehn Jahren zum ersten Mal nach Indien kam und nach einer mehrtägigen Reise das Haus meines Grossvaters endlich fand, wurde in der kleinen, von ihm erbauten Kirche gerade Weihnachten gefeiert. In der Sakristei hing noch immer das vergilbte Foto der Grundsteinlegung, das kleine Mädchen im weissen Kleid war meine Mutter. Man empfing mich als den «Enkel des Apostels»“ und bat mich freudig, die Kanzel zu besteigen und eine Predigt zu halten.

Was sollte ich sagen?

Ich wich aus und erzählte von der seltsamen Liebesgeschichte meiner Grossmutter: Der Grossvater hatte schliesslich in die Schweiz geschrieben, man möge ihm bitte eine neue Frau schicken. Man fand eine Bauerntochter, die einer enttäuschten Liebe entfliehen wollte und bereit war, am andern Ende der Welt einen ihr Unbekannten zu heiraten. Als sie nach wochenlanger Reise im indischen Hafen an Land ging und den Fremden zum ersten Mal sah, fiel sie in Ohnmacht. Selbst diese Pointe meiner Geschichte war nicht sehr erfolgreich, weil in Indien die meisten Paare heiraten, ohne sich vorher zu kennen.

Auch mein Schulfreund George hatte einen «indischen Grossvater», aber der war irgendwie auf der anderen Seite: als reicher Kolonialkaufmann, Kavallerieoffizier, Chef des weltumspannenden Handelshauses «Gebrüder Volkart» am Winterhurter Bahnhof war er – als wolle er meinem Grossvater eins auswischen – im Alter Buddhist geworden.
Hinter einer Tapetentür in seinem Arbeitszimmer führte eine schmale Wendeltreppe hinab in seinen Aschram.
In seiner Selbstbiographie, die er in einer exquisiten Auflage von 100 Stück in Goldschnitt hat drucken lassen, beschreibt er seine Verlobungs-geschichte mit der Schwester des Textilbarons Alfred Schwarzenbach–Wille (dem Schwiegersohn des Generals):
«Beim Abschied von Bombay hatte mir ein alter Brahmane, der seit vielen Jahren die Stelle eines Haus-Brokers in unserer Firma bekleidete, einen Fingerring mit einem Saphir und zwei Diamanten geschenkt. Diesen Ring steckte ich in die Westentasche, als ich mich zum Ball des Clubs «Zur weissen Rose» begab. Ich wusste, dass Fräulein Olga Schwarzenbach ebenfalls teilnehmen würde. Sie war mir schon zuvor am Pferderennen durch ihre königliche Haltung aufgefallen. Um den Ring nicht zu verlieren, hatte ich ihn rasch in ein Stücklein Papier gewickelt und zwar von jener Sorte, die sonst nur zu anderen, ganz bestimmten Zwecken gebraucht wird. Als ich während des Tanzes der jungen Dame den so eingepackten Ring schenken wollte, liess sie mich vor Lachen mitten im Walzer fahren, sodass ich plötzlich durch andere Paare von ihr getrennt war. Dennoch hat der indische Zauberring seine Wirkung getan.»

Man kann sich vorstellen, dass sich die beiden Grossväter in Indien begegnet sind. Der eine brachte Europa nach Indien, der andere holte Indien nach Europa. Der eine lebte für Indien, der andere von Indien. Oder war es umgekehrt? Ist es zu einfach, die beiden als Vertreter der Prinzipien Sein und Haben gegeneinander zu stellen? Sind sich die beiden gar verwandter als sie möchten?
Auf ihren Indienfotos haben sich beide Grossväter ins Zentrum gesetzt. Der Kaufmann sitzt am Boden und hat seine Arme, zwar mit geschlossenen Fäusten, links und rechts auf die Schultern zweier bärtiger Männern in Turbanen gelegt. Es sieht aus wie Freundschaft -wenn einem nicht unwillkürlich Jagdbilder mit Beute in den Sinn kämen. Der Missionar sitzt mit Tropenhelm und Kravatte auf einer Art Thron in der Mitte, auf dem Knie seinen Sohn im weissen Matrosenanzug, hinter ihm steif aufgereiht die indischen Hausangestellten, zwei Männer und zwei Frauen in halbeuropäischer Sonntagskleidung und dem Missionar zu Füssen, fast wie Opfergaben, Blumen und Früchte.

«Unter Imperialismus im engeren Sinne versteht man die Endphase der kolonialen Expansionspolitik europäischer Grossmächte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum ersten Weltkrieg.» (Schweizer Lexikon) Vom Imperialismus ist heute der Nord-Südkonflikt geblieben. Bezeichnend scheint mir, dass dabei niemand an eine Mitverantwortung der Schweiz denkt, obwohl die eigenen Grossväter daran beteiligt waren. Wie immer ist bei uns alles ein bisschen verhaltener, ein bisschen scheinheiliger.

Es wächst nun mal keine Baumwolle, kein Kaffee und kein Pfeffer in Europa und in Indien ist das alles spottbillig zu haben. Dieses Gefälle nutzt der Kolonialkaufmann aus, indem er unschuldig und clever seine Turbine unter den Wasserfall stellt – je grösser der Niveauunterschied zwischen Herkunftsland und Verkaufsort ist, desto grösser ist sein Erfolg. Indem er sich nicht an der langwierigen und menschenintensiven Produktion beteiligt, weder beim Anbau noch in der Verarbeitung, hält er sein Risiko so klein als möglich. Der Erfolg gibt ihm recht – auch ich freue mich an den weltweit berühmten Kunstsammlungen dieser Kaufmannsfamilie.

Eine Koproduktion zwischen den moralischen Ängsten der Missionare, den Interessen des Handels und der englischen Textilindustrie war die Erfindung der Saribluse zur Bedeckung der weiblichen Brüste, die bis dahin je nach Kaste ganz nackt oder nur mit dem über die Schulter geschlagenen Ende des Saris lose bedeckt waren. Um in dem riesigen Land alle Inderinnen sittsam zu kleiden, würden ungeheure Mengen Baumwollstoffe benötigt werden. Zum Schutz der eigenen Industrie hatten die Kolonialherren aber den Indern die mechanische Textilverarbeitung ursprünglich ganz verboten, später verhinderten sie die Entwicklung einer indischen Textilindustrie mit enormen englischen Schutzzöllen. Die indische Baumwolle wurde also ungesponnen nach England verschifft, in Manchester verarbeitet und als Tuch wieder nach Indien verfrachtet, um sie den halbnackten Inderinnen mit diesem Mehrwert wieder verkaufen zu können. All diese Transaktionen waren auch Wasser auf die Mühle des Schweizer Kaufmanns. Gegen diese Machenschaften begann schliesslich Gandhi sein bescheidenes kleines Handspinnrad zu drehen, um den Weissen und den Indern die Möglichkeit der indischen Unabhängigkeit zu demonstrieren.

Aber auch die Mission hatte ihren weltlichen Anteil. Wer sich in der streng gegliederten indischen Kastenordnung christlich taufen liess, wurde aus der Familie und vom Arbeitsort ausgestossen. So mussten die Missionare neben Predigt und Schulunterricht auch für Arbeit sorgen. Als erstes versuchten sie es mit Kuckucksuhren, um «durch Genauigkeit. und Fleiss die heidnischen Triebe ganz aus den dunklen Menschen zu vertreiben.» «Aber im Lande der Trägheit kann das Geschäft mit der Zeit nicht blühen» schreibt ein Missionar enttäuscht an die Leitung nach Basel. So versuchte man es mit Webereien (noch vor Gandhi) und vor allem mit der Produktion von schweizerischen Falzziegeln, die sich gegen Monsun und Hitze hervorragend bewährten. Die Ziegeleien wurden so erfolgreich – es wurde bis nach Singapur geliefert – ,dass es bald mehr Arbeit gab als bekehrte Christen. Man war gezwungen, «Heiden» anzustellen. Weil diese im Gegensatz zu den Christen bei schlechter Leistung entlassen werden konnten, setzte man sie gezielt an den Stellen ein, die den Arbeitsrhythmus bestimmten, zum Beispiel an der Ziegelpresse, um so das Tempo für alle hoch zu halten. Bezeichnenderweise bekehrten sich in Zeiten von Hungersnot und Dürre am meisten Menschen, weil der Glaube auch Brot bedeutete.

Aus all diesen Unternehmungen entstand die «Basler Missionsindustrie», deren «Industriebrüder», wie sie genannt wurden, einen persönlichen Lohn durchsetzten, im Gegensatz zu den Theologen, für die es hiess: «der Bruder bekommt, was er braucht». Schliesslich verweltlichte auch der Name zur «Basler Handelsgesellschaft», die noch heute erfolgreich tätig ist und ihr Archiv – es muss einen Grund geben – unter Verschluss hält.

Unversehens ist also der Missionar zum Unternehmer und Kaufmann geworden. Auch wenn die beiden Grossväter widersprüchliche Visionen des Lebens haben und sich deswegen vielleicht sogar gegenseitig heimlich verachten, gehören sie zusammen zur Herrenkaste der Weissen, der «Vitali karen». Man trifft sich zum Tee, den man auch mal beim Kommandanten der Garnison trinkt, obwohl er noch unchristlicher ist als die Heiden, im Gegensatz zur verwitweten Plantagenbesitzerin, die gerne dem Missionar ihre Kutsche leiht, wenn sein Zugochse hinkt. Die Inder dagegen bleiben für sie alle «die Eingeborenen», die «natives». Die Bestrebung einiger Missionare, selber wie die Inder zu leben, am Boden zu schlafen und mit den Händen zu essen, wird vom Basler Missionskomitee entsetzt zurückgepfiffen. «Der Eingeborene ist ein Kind, und mit Kindern muss man autoritär umgehen. Ich bin dein Bruder, das ist wahr, aber dein älterer Bruder.» (Albert Schweitzer)

«Schwarz… halb nackt… schreiend… abscheulich riechend… farbig… Zuckerrohr… Melonen… Küsse… Palmen… kindische Freude… heiss… süss… üppig… Tränen… unnennbare Lust und Sehnsucht…» mit diesem
bedrohlich und verführerischen Wortfeld beschreibt Hermann Hesses Mutter, in Indien geborene Tochter des wohl berühmtesten Basler Missionars Hermann Gundert (dessen Malayalam Dictionnary heute noch im Gebrauch ist) ihre Rückkehr nach Indien als 16-jährige. Noch auf dem Schiff verliebt sie sich verbotenerweise in einen englischen Kaufmann, was der Vater Missionar gleich nach der Ankunft auf das grausamste unterbindet. Auch bei seinen Gemeindemitgliedern wacht er scharf auf Sitte und Zucht: «Mit Ohrfeigen Chandru zum Geständnis des Ehebruchs gebracht,» notiert er in sein Tagebuch. Tropisch, dunkel, heidnisch, halbnackt und sündhaft sind Synonyme für die Missionare, denen es vom Basler Komitee ausdrücklich verboten ist, allein mit einer weiblichen Einheimischen (mit oder ohne Saribluse) in einem geschlossenen Raum zu verweilen.

Indien lässt sich aber nicht einfach aussperren. Nicht nur Gerüche, Geräusch und Moskitos dringen durch die Holzgitterstäbe der wegen des Klimas offenen Fenster, es kommen auch die Träume. Ich selbst träume intensiver auf meinen Indienreisen als in der Schweiz und glaube nicht, dass das nur von der Malariaprophylaxe ausgelöst wird. In den Tagebüchern der Missionsbräute zeigt sich, wie stark die schwüle Tropenwelt, die für sie ja eine konkret erotische Komponente hat, mit den Bereichen des Unterbewussten verbunden ist, dem «unbekannten Kontinent in uns“», den der andere «grosse Grossvater» in Wien fast zeitgleich zu erforschen beginnt. Es besteht die Verlockung, sich schwärmerisch der «Dunkelheit» hinzugeben, hinabzutauchen, wie die für Asien schwärmenden Romantiker und die Hippies der Flower–Power-Zeit, «eine Heimkehr aus der Welt der Zahlen in die Welt der Märchen und Gedichte.» ( Novalis)

Spannend in der Konstellation der beiden Grossväter ist der Widerspruch, dass der Handelsherr, der als kühl und kalkulierender Kaufmann seine Indienreisen aus Gründen der Rendite antritt, in seinem Herzen ein Romantiker und verhinderter Künstler ist, für den die östlichen Religionen Poesie und Erlösung aus seinen Bilanzen sind. Der Missionar aber, der Vertreter des Geistigen, des Religiösen, Übernatürlichen, der oft nächtelang auf romantischen Reisen im Boot und im Ochsenwagen unterwegs ist, will mit seinen Bildern aus der mitgeführten «Laterna Magica» als Aufklärer Licht in das Dunkel bringen: die 10 Gebote, das Alphabet, Trinkwasserfilter und die Befreiung aus der unchristlichen Kastenordnung.

Der hinduistische Glaube der Seelenwanderung macht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kaste und damit die soziale Hierarchie unverrückbar, bestätigt alles irdische Elend als gottgewollte Strafe für Übeltaten in einem früheren Leben und steht in einem grundsätzlichen Widerspruch zum europäischen Humanismus und unserer Vorstellung von individueller Freiheit, Gerechtigkeit, «Liberté, Egalité und Fraternité». Wütend schreibt Pasolini in seinem Reisetagebuch «Atem Indiens»: «Die Tradition der Kasten ist ein im ganzen Gewebe Indiens verwurzelter Krebs. Man müsste ihn mit einer Notstandregierung, mit Gewalt ausreissen.»

Aber beschreibe ich eigentlich mit den beiden Grossvätern nicht auch eine Kastenordnung, unsere europäische? Die soziale Hierarchie innerhalb der weissen Herrenkaste ist ungeschrieben klar: Englischer Kolonialbeamter und Offizier – Schweizer Kaufmann – theologischer Missionar – Industriebruder. Die Häuser des Missionars und des Kaufmanns unterscheiden sich nicht so sehr im Stil, aber in der Anzahl der Stockwerke – ein grosses Erlebnis für meine Mutter, die als Dreijährige auf Besuch zum ersten mal das Dröhnen ihrer eigenen kleinen Füsschen auf dem Holzboden eines ersten Stockes vernimmt, den kleinen Klassenunterschied hat der Grossvater genau beschrieben. Auch in Europa können wir von jedem Haus, von jedem Quartier, ja fast von jedem Passanten auf unseren Strassen ohne grosses Nachdenken die «Kastenzugehörigkeit» benennen. Sie heisst bei uns Schicht, Beruf, sozialer Status, Einkommensklasse, neureich oder aus alter Familie, städtisch oder vom Land, wir kennen unsere eigene Kaste und zeigen oder verstecken sie mehr oder weniger selbstverständlich. Allerdings sind die Wettbewerbschancen, unabhängig von der Herkunft in der Welt vorwärts zu kommen, im Westen inzwischen breiter garantiert als in Indien. Könnten dort die Menschen also doch nur alle gleiche Rechte bekommen, wenn man die religiöse Begründung aus der Kastenhierarchie herausziehen würde? Also doch Mission?
Mahatma Gandhi, selber nicht Angehöriger der obersten Brahmanen-Kaste, hat das versucht, ohne den Hinduismus zu zerstören, indem er das weltliche Kalkül aufzeigte, mit welchem 1500 v. Chr. die arischen, hinduistischen Eroberer die Versklavung der ursprünglich andersgläubigen, dunkelhäutigen drawidischen Völker auf alle Zeiten hatten sichern wollen. Gandhi fuhr demonstrativ Dritter Klasse und wohnte in den Quartieren der Unberührbaren. Als gläubiger Hindu las er öffentlich aus dem Koran vor und basierte seine gegen die christlichen Engländer gerichtete Politik der Gewaltlosigkeit auf der Forderung Jesu, dem Angreifer, der einen auf die linke Backe schlägt, auch die rechte hinzuhalten.
Wäre das ohne sein Studium in Europa möglich geworden? Das Beispiel zeigt die indische Fähigkeit, Fremdes zu assimilieren, ohne sich im Zentrum Preis zu geben. Die Missionare verzweifelten daran, dass die Inder Jesu ohne weiteres als Inkarnation Gottes akzeptieren konnten, neben all den anderen Inkarnationen Krishna, Vishnu, Shiva etc, die sie schon kannten.

Im Westen werden inzwischen alle, auch die indischen Weltanschau-ungen fast wie in einem Supermarkt angeboten, aber meist eingesetzt zur Effizienzsteigerung des zielgerichteten Denkens und Strebens. Unter dem Zeitdruck unseres einmaligen Lebens, dessen Ende unabwendbar ist, bekommen alle Ereignisse einen ungeheuren Stellenwert. Die Verwirklichung des Individuums muss als höchstes Ziel gelten -während es im Osten darum geht, sich von der Last der individuellen Beschränkung zu befreien, das eigene Zentrum zwar zu finden, aber als Bestandteil einer allumfassenderen Lebenskraft zu erkennen.

Für das Drehbuch meines Films «Flammen im Paradies», das von den Tagebüchern meines Grossvaters ausgeht, habe ich mit dem indischen Regisseur Shaji N. Karun vor allem an den indischen Figuren der Geschichte gearbeitet. Ich zeichnete die Grundstruktur der Filmhandlung als aufsteigenden Pfeil von links unten nach rechts oben. Shaji zeichnete ohne zu überlegen dafür einen Kreis. Dreidimensional wäre das Ende vielleicht höher oder tiefer gelandet als der Ausgangspunkt, wo bei schon die Worte «Ausgangspunkt», «Ende» und «landen“»falsch sind. In der indischen Musik erklingt nur ein Ausschnitt aus einem unablässigen Fluss, die Spieler hören irgendwann zu spielen auf, die Musik würde eigentlich weitergehen. Ein einziger Tag Brahmas dauert
4 ‚320‘000’000 Jahre…

Wäre es möglich, etwas von dieser Gelassenheit, die aus einem allumfassenderen Blick kommt, für unsere individualistische, zielgerichtete westliche Ungeduld fruchtbar zu machen? Beim Drehen meines Films haben meine dem Tagespensum abgekämpften fünf Minuten Yoga am Morgen dazu nicht genügt. Wenn ich mein eigenes Indienfoto betrachte, sehe ich einen abgekämpften, einsamen Europäer mit dem Blick auf eine Fata Morgana – mitten unter den indischen Statisten, die sich wundern.

«Ihr kommt als Lehrer hin und geht als Schüler.» (Schopenhauer)

 

– Markus Imhoof, 2.5.1997